Mit Agilität gegen die Silobildung: Neuigkeiten in ITIL® 4

Als die britische Regierungsbehörde CCTA (Central Computing and Telecommunications Agency) Ende der Achtziger Jahre ihre „IT Infrastructure Library“ (ITIL®) entwickelte, war das die Antwort auf eine große Herausforderung: IT-Dienstleistungen brauchten ein Verfahren, mit dem ihre Qualität systematisch gemessen und verbessert werden kann. Ein Verfahren, das Prozesse und Herangehensweisen strukturiert und verschlankt – und so Kosten senkt. Im Kern konzentrierte sich ITIL® auf die Anforderungen und die Servicequalität. Dafür wurden Verantwortlichkeiten und Abläufe definiert und vor allem: Best Practices, mit klaren Handlungsempfehlungen.

Noch auf der Höhe der Zeit?

Auch wenn ITIL® in den vergangenen Jahrzehnten laufend weiterentwickelt und verfeinert wurde, an den grundsätzlichen Zielen hat sich wenig geändert. Vielmehr etablierte sich das Konzept als globaler Quasi-Standard für das IT-Service-Management. Dazu trug auch bei, dass in ITIL® verwendete Begriffe eine einheitliche Bedeutung bekamen und IT-Verantwortliche auf Kunden- wie auf Lieferantenseite zielgerichteter kommunizieren konnten. Ein weiteres Argument für die zunehmende Bedeutung von ITIL® war die Möglichkeit, persönliche Zertifikate zu erwerben. Sie gelten seit Jahren als Ausweis für fundierte und standardisierte Kenntnisse.

In den letzten Jahren wuchs jedoch auch Skepsis an der strikten Ausrichtung auf Prozesse in ITIL®. Die Kritik richtete sich dabei weniger gegen die grundsätzlichen Prinzipien des Frameworks als gegen die Formulierung von Zielen und die Darstellung der Handlungsempfehlungen. Im Wesentlichen wünschte man sich in der IT-Praxis eine stärkere und den aktuellen Anforderungen entsprechende Kundenausrichtung. Begriffe wie „Mehrwert“ und „Ergebnisse aus Kundensicht“ sind im heutigen Unternehmensalltag omnipräsent. Und der Einsatz von agilen Methoden, flexiblen Vorgehensmodellen und Problemlösungsprinzipien spielt eine wachsende Rolle. Diese Ansätze sollten endlich auch im ITIL®-Framework verankert sein.

Agiler Sprung mit ITIL® 4

Im Februar 2019, acht Jahre nach der letzten großen Aktualisierung, war es schließlich soweit: Mit ITIL® 4 erschien die lang erwartete Überarbeitung. Diese ist nicht unbedingt eine Revolution. Vielmehr behalten die meisten alten Konzepte ihre Gültigkeit – sie sind bewährt und erfolgreich. Aber ITIL® hat in seiner vierten Version eine deutliche Frischzellenkur durchlaufen. So wurde die Dokumentation gestrafft, sprachlich überarbeitet und durch zahlreiche Praxisbeispiele auch anschaulicher. Die Aufgabe: ITIL® 4 will die IT-Organisationen und das IT-Service-Management bei Herausforderungen der digitalen Transformation unterstützen – und praktikable Antworten liefern.

Betont wird dabei: Services sind nicht das eigentliche Ziel des unternehmerischen Tuns. Vielmehr sollten die Services ein „Enabler“ für Mehrwert und Wertschöpfung sein. Für diese Ausrichtung auf den Kundennutzen, auf die flexible Schaffung von Produkten mit Mehrwert öffnet sich das Framework zeitgemäßen Ansätzen und Vorgehensmodellen: Agilität, DevOps, Lean-IT und anderen. Das Service-Lebenszyklusmodell aus den vorhergehenden Versionen ist auf den ersten Blick aus ITIL® 4 verschwunden. Dafür basiert das aktuelle ITIL® auf drei Elementen:

  • Service-Wertesystem (Service Value System – SVS)

    Der Grundgedanke im SVS ist, dass Services nicht nur bereitgestellt werden, sondern in ein durchgängiges System von Service-Beziehungen eingebunden sind. Diese Beziehungen haben immer den Mehrwert für den Kunden zum Ziel und sehen Anforderungen und Bedürfnisse als sich wandelnde Faktoren. Das umfassende SVS bildet die verschiedenen Komponenten und Aktivitäten von Organisationen ab – und zeigt, wie ihr IT-unterstütztes Zusammenspiel zu mehr Wertschöpfung führt.

  • Service-Wertschöpfungskette (Service Value Chain – SVC)

    Eingebettet in das Service-Wertesystem (SVS) ist die Service Value Chain. Diese Wertschöpfungskette ist so ausgerichtet, dass Organisationen flexibel und effizient auf sich ändernde Anforderungen ihrer Stakeholder reagieren können. Dafür lässt sich SVC an verschiedene Ansätze anpassen – wie produktorientierte und agile Delivery-Teams, DevOps oder eine zentralisierte IT. Die ITIL®-Wertschöpfungskette besteht aus miteinander verbundenen Aktivitäten, die gemeinsam ein Modell für die Entwicklung, Bereitstellung und kontinuierliche Verbesserung von Services zur Verfügung stellen.

  • Grund Prinzipien (Guiding Principles)

    Das Kernelement in ITIL® 4 bilden sieben Grundprinzipien für eine ganzheitliche Sichtweise, in denen sich auch die Neuausrichtung auf moderne und agile Vorgehensweisen widerspiegelt. Die Prinzipien helfen den IT-Verantwortlichen, die ITIL®-Empfehlungen zu übernehmen und sie an die individuellen Gegebenheiten in ihrer Organisation anzupassen. Die Prinzipien lauten:

      1.Dort beginnen, wo man steht
      2.Dinge einfach und praktikabel halten
      3.Optimieren und automatisieren
      4.Iterativ entwickeln und Feedback nutzen
      5.Zusammenarbeiten und Transparenz fördern
      6.Immer am Mehrwert orientieren
      7.Ganzheitlich denken und arbeiten

  • Ganzheitlicher Blick auf das Service Management

    Der ganzheitliche Ansatz findet sich überall im Framework: Während die Vorgängerversionen noch stark auf Prozesse fixiert waren, weitet ITIL® 4 den Blick auf Bereiche wie (Unternehmens-)Kultur, Technologie, Informations-/Datenmanagement und anderes. Prozesse behalten ihre Gültigkeit, aber als Aktivitäten und Arbeiten werden sie zu einem Teil von Wertströmen, in denen der Input zum gewünschten Output gebracht wird. Neben den Prozessen und Funktionen stehen nun gleichberechtigt Fähigkeiten (Capabilities) und Methoden. Sie alle gemeinsam bilden die sogenannten Praktiken, die wichtige Schlüsselaktivitäten in der Wertschöpfung beschreiben. ITIL® 4 unterscheidet:

  • Generelle Management Praktiken –

    wie Risiko Management, Portfolio Management oder Information Security Management

  • Service Management Praktiken –

    wie Business-Analyse, Release Management oder Incident Management

  • Technische Management Praktiken –

    Software Development, Deployment Management oder Infrastructure Management

  • Klarere Struktur im Zertifizierungssystem

    Auch beim Zertifizierungsschema liegt ein Schwerpunkt auf der Verschlankung. Unverändert zur Vorgängerversion steht Foundation als Einstiegsebene der ITIL®-Zertifizierungen. In diesem Grundlagenkurs werden die wesentlichen Elemente, Konzepte und Begriffe eingeführt. Danach folgen verschiedene Aufbaukurse, die in zwei getrennte Entwicklungsströme (Streams) aufgeteilt sind. Mit erfolgreichem Abschluss aller jeweiligen Kurse eines Streams erhält man die entsprechende Zertifizierung:

    ITIL® Managing Professional (ITIL® MP) – für Anwender aus dem IT-Bereich

    und ITIL® Strategic Leader (ITIL® SL) – mit dem Schwerpunkt auf Unternehmensstrategie und digitalen Services

    Noch darüber steht – als oberste Ebene im Zertifizierungsschema – der ITIL® Master. Für den Master gibt es keine festgelegten Kurse oder Prüfungen. Vielmehr müssen die Kandidaten "tiefgreifende praktische Erfahrungen“ aus beiden Streams nachweisen.

    Zertifikate nach ITIL® V3 behalten natürlich ihre Gültigkeit. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Neuerungen in ITIL® 4 (insbesondere die zeitgemäße Anpassung an agile Methoden, Lean-IT und DevOps) einen gewissen Druck zur Migration aufbauen werden. Denn die steigende Dynamik bei Anforderungen – in Verbindung mit einer wachsenden Komplexität und Lösungsvielfalt in allen Organisations- und IT-Bereichen – brauchen Kompetenzen, die über ITIL® V3 nur unzureichend abgebildet sind. Zudem lohnt sich der Einstieg in ITIL® 4 auch für jeden Einzelnen: Gemischte und agile Teams, Continuous Delivery und Lean Development entwickeln sich zu Standards in der IT-Welt. Wer die Verbindung von aktuellen Ansätzen und etabliertem Prozessmanagement beherrscht, ist gewappnet für verantwortungsvolle Aufgaben einer digitalisierten Wirtschaftswelt.

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